Jürgen Benz, der seine ersten Turnierschachpartien 2018 in Wijk an Zee spielte, weilt wieder unter Super-Großmeistern.
Er hat auch schon seinen ersten Punkte im Weekday-Turnier 2020 8P geholt. Viel Spaß noch - und hier seine Eindrücke.
Immer wieder nett unter einem Dach mit WM Carlsen zu spielen. In diesem Jahr hat mich die Turnierleitung freundlicherweise erneut einer leichten Gruppe (8P) zugeteilt, und gestern konnte ich schon den ersten Sieg klarmachen - mit Weiss gegen Rykle van der Heide. Der große deutsche Hoffnungsträger (NEIN, nicht ich) IM Vincent Keymer (ELO 2527) bekam es auch mit einem Niederländer zu tun: Max Warmerdam (2498).
Auftritt Vincent: Der 15-jährige ist kurz vor halb zwei einer der ersten am Brett. Er betritt die Halle im dunkelblauen Anzug, das hellblaue Hemd hängt ihm über der Hose. Er ist gross gewachsen, und könnte mit seinem kräftigem Körperbau auch gut als 25-jähriger durchgehen. Sein Gegner wirkt eher schlank und schmächtig, macht Vincent auf den 64 Feldern aber schwer zu schaffen.
Im Endspiel färben sich Vincents Wangen allmählich immer roter - er findet einfach keinen Dosenöffner für die Stellung des Niederländers. Während er grübelt, beginnen Finger und Zunge seine Unterlippe zu bearbeiten, als ob die eine zündende Idee liefern müsste.
Aber all das Zerren und Schieben hilft nichts - sie macht einfach nicht mit. Am Damenflügel muss Vincent sogar die Stellung mit Springer und Bauer gegen Läufer und zwei Bauern von Max halten. Das zumindest gelingt, und die beiden einigen sich nach etwa fünf Stunden auf Remis.
Das ging bei mir etwas schneller 🙂 ): 90 Minuten, weil mein Gegner sich einen kapitalen Schnitzer erlaubte, zum Glück. Spart Energie für die letzten beiden Spiele heute und morgen.
Außer Vincent vertritt tatsächlich niemand die deutschen Farben im Spitzenfeld der Master und Challenger. Bei den "Meistern" sorgt der aus dem Iran stammende, aber unter neutraler Flagge antretende Alireza Firouzja für Aufsehen - er wird schon als Nachfolger von Carlsen gehandelt. In der dritten Runde gestern fährt er gegen Wladislaw Artemiew seinen zweiten Sieg ein und führt nun die Tabelle mit 2½ Punkten an, während Favorit Magnus Carlsen noch auf Rang 8 "dümpelt".
Der Norweger musste sich gegen Jeffery Xiong erneut mit einem Unentschieden begnügen. Nach der zweiten Runde fand er sein Spiel schon "uninspiriert", wie er auf der Tata-Steel-Webseite erklärte. Aber gut, zumindest hält seine spektakuläre Serie von wohl über 110 Spielen ohne Niederlage, und er ist drauf und dran den Rekord von Weiss-ich-Nicht zu knacken. Außerdem läuft der sechsmalige Wijk-Sieger gern etwas später zu grosser Form auf, und wie die früheren Tata-Steel-Turniere zeigen, hat die Platzierung in dieser frühen Phase noch keinerlei Aussagekraft.
Pechvogel bisher: der frühere WM Vishy Anand, der am 11. Dezember seinen 50. Geburtstag gefeiert hat. Gegen Wesley So ging er in der zweiten Runde einmal mehr beherzt und einfallsreich zu Werke. Offensichtlich wollte er den gebürtigen Philippiner vom Brett fegen. Wäre auch fast gelungen, und Wesley hatte mit Weiss eine Stellung, zum Steinerweichen schlecht aussehend (Nachspielen lohnt sich).
Anand war mit drei Schwerfiguren auf seine zweite Linie eingebrochen und hatte ihn kurz vor dem Matt, doch der US-Vertreter behielt die Nerven, fand immer noch einen Ausweg und konnte so am Ende Anands Figurenopfer widerlegen. Wesley: 1, Anand: 0.
Eine mindestens ebenso vogelwilde Partie lieferten sich der niederländische Lokalmatador und Vorjahreszweite Giri Anish mit Weiss und Vize-Weltmeister Fabiano Caruana in Runde Zwei. Die beiden gingen aufeinander los wie zwei verletzte Stiere. Was sie da in den ersten fünfzehn Zügen ablieferten, sah aus wie Chaos pur.
Den dutzenden Zuschauern vor der Balustrade stockte der Atem. Ungläubig starrten sie auf die Bildschirm-Diagramme und die nicht ganz lehrbuchreifen Züge. Aber trotz aller Kreativität hatten die beiden die Sache ganz gut im Griff, und nach einer Weile legte sich der Sturm (absolut sehenswert). (Bericht und Foto: J.B.)